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Standing Ovations für «Saul»

Die Wettinger Sommerkonzerte werden 80: Zu diesem Jubiläum wird mit drei fulminanten Aufführungen von Händels Oratorium «Saul» gratuliert

Im Londoner Her Majestys’s Theatre wird «The Phantom of the Opera» gespielt: Ein Musicalhit, zu dem das Publikum auch 2015 strömt. 1739 strömte es zu George Frideric Handels «Saul». Damals hiess das Haus King’s Theatre und gab Opern mit Kastraten, den Superstars des Barock. Was ging in Händel vor, als das Opernbusiness in Schieflage geriet? Wir wissen nur, dass er die Flucht nach vorne angetreten und Singuläres geschaffen hat: Oratorien. In englischer Sprache; mit Arien, Orchester- und Chorpartien, die den dramatischen Faltenwurf des genialen Bühnenkomponisten verraten. Teure Bühnenbilder wurden für Oratorien nicht benötigt, weil jeder sein eigener Regisseur war.

Dass er viel fürs Geld bekam, zeigt die an der Oper gemessene Länge von drei Stunden. Es brauchte nur eines: Sitzleder. Auch für das Oratorium «Saul», das nun in der Klosterkirche Wettingen – zur Feier von «80 Jahren Wettinger Sommerkonzerte» – aufgeführt wird.

Das auf historischen Instrumenten spielende Stella Maris Orchestra; die Solisten Rudolf Remund, Peter Kennel, Dino Lüthy, Noëmi Sohn Nad, Susanne Oldani und Daniel Pérez; der über 100-köpfige Chor der Kantonsschule Wettingen sowie der Dirigent Cristoforo Spagnuolo stemmen damit, salopp gesagt, eine Riesenkiste. Die Anforderungen gleichen der Bezwingung des Mount Everest, doch sie werden – über das Meistern hinaus – mit derart viel Musikalität und Engagement belebt, dass Händels Genialität bisweilen wie ein Schock wirkt.

Der Theatermensch Händel lässt es donnern und schmettern (gut, dass diese Freude keiner Phon-Messung unterworfen ist) – und das so, dass die eruptiven Entladungen die Klosterkirche füllen und die Zuhörer gleichsam in eine Flut von Dur und Moll hüllen.

Der Dirigent benutzt die erstmals in der Schweiz gespielte Fassung, die der Komponist einst selbst dirigiert hat – mit packendem Ergebnis. Händels Musik erklingt unter Cristoforo Spagnuolos eindringlicher Führung bei aller Opulenz licht und leicht, aber auch konträr. In der Hexen-Arie etwa spitzen die Violinen den vorerst fahlen Klang bis zur fast unangenehmen Schärfe zu. Eine weitere Überraschung: Dem zunächst spielerischen Glockenspiel wird als «Subtext» eine Nervosität unterlegt, die auf die Spannung zwischen König Saul und David verweist.

Es brodelt und kocht in dieser Musik förmlich, doch der Komponist wie die Interpreten wissen: Auf Spannung muss Entspannung folgen. Deshalb sind die langsamen Arien von einer bewegenden Ruhe und Noblesse. Singt David (Countertenor) beispielsweise «O Lord, whose mercies numberless» wird man an einen Kritiker erinnert, der von Händels «melodischen Augenaufschlägen» sprach. Eingebettet in den Kontext eines Oratoriums, das genial zwischen Dramatik und Lyrik changiert, ist solches schlicht zum Heulen schön. So empfand auch das Publikum der beiden bisherigen, ausverkauften Konzerte, weshalb es so reagierte: mit Standing Ovations. 

 
Kantonsschule Wettingen
Klosterstrasse 11
5430 Wettingen
T +41 56 437 24 00
kanti-wettingen@ag.ch
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